“Unser” Fall, das ist eine ganze Familie aus dem südrussischen Voronezh. Die Familie Polukhin betrieb dort eine Bäckerei mit Café. Wie in Russland üblich, wurden dort auch Backwaren mit Mohn verkauft. Im März 2010 sahen sich die Polukhins plötzlich einer Anklage wegen Drogenhandels ausgesetzt, was sie zunächst kaum glauben konnten. Allerdings hatten sie es vorher abgelehnt, Schutzgelder an die örtliche Drogenbehörde zu zahlen. Im Juli 2015 wurden Vater, Mutter, Tochter und Schwägerin wegen Drogenhandels zu Haftstrafen von über 8 Jahren verurteilt. Ihre Berufung wurde abgelehnt. Amnesty London schaltete sich schon 2016 ein, in einem Briefwechsel mit der Generalstaatsanwaltschaft wurde unserer Organisation mitgeteilt, der Prozentsatz von Opiaten in den beschlagnahmten Mohnsäcken der Bäckerei sei verhältnismäßig niedrig gewesen (und damit eigentlich vollständig legal), dennoch blieben die Polukhins zunächst weiterhin inhaftiert. Es gibt Hinweise, dass dieses nicht der einzige Fall ist, in dem Bäcker wegen Drogenhandels (durch Verkauf von Mohn- und Mohnprodukten) angeklagt wurden.
Stand November 2021:
Uns ist bekannt, dass in Russland selten einmal getroffene Gerichtsentscheidungen revidiert werden. Trotzdem wandten wir uns weiter an die Behörden (Generalstaatsanwalt, Büro des Präsidenten). Außerdem schrieben wir Briefe und Karten an die Familienmitglieder, um sie moralisch zu unterstützen. Nachdem wir mehrmals an die Generalstaatsanwaltschaft in Moskau geschrieben hatten und vier Mal Antwort bekamen (also vier Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft), waren uns mehr oder weniger die Argumente ausgegangen, d.h. wir konnten nur noch unsere Argumentation für eine Neuauflage der Gerichtsverhandlung wiederholen oder uns auf Gnadengesuche verlegen. Die Ankündigung (von nicht-offizieller russischer Seite), Alexander Polukhin käme wohl demnächst frei und seine Tochter Evgeniya wohl auch, traf uns deshalb total unvorbereitet.
Stand Februar 2022:
Im Januar 2022 erhielten wir endlich die Mitteilung – per Email – dass alle Familienmitglieder wieder in Freiheit sind – alle wurden vorzeitig entlassen, zum Teil “wegen guter Führung”, wenn wir richtig informiert sind. Allerdings gelten sie noch als “Kriminelle” und müssen sich mit Kontakten ins westliche Ausland zurückhalten, weshalb wir von Mutter Marias und Schwester Ninas Entlassung auch erst verspätet erfuhren. Alexander wurde am 20. Februar 2020 aus dem Straflager entlassen, Tochter Evgeniya kam “wegen guter Führung” am 28. Februar 2020 frei, kurz vorher hatten wir noch einen längeren Brief von ihr erhalten. Wir wissen, dass Vater Alexander und Mutter Maria, die beide massive Gesundheitsprobleme hatten, zur Zeit versuchen, “beschädigte Gesundheit wieder herzustellen”, so die Google-Übersetzung der russischen Email.
Zur Information: Mohnsamen enthalten immer, auch in Deutschland, eine geringe Menge von sog. “Mohnstroh”, Opiate, also narkotische Substanzen – diese ist aber bei frei gehandeltem Mohn so gering, dass sie vernachlässigt werden kann.